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DIE WELT

Die Mutter aller Gestüte

Gefährdet

Das einstige kurfürstlich-sächsische Gestüt Bleesern bei Wittenberg gehört zu den originellsten "Gewerbebauten" aus ältester Zeit. Die riesige Hofanlage mit mächtigem Mauerwerk, hohen Ziegeldächern und Rundbogentoren war 1686, in der Frühzeit des Barock, als "Stuterei" errichtet worden und bildet nach Ansicht von Heinrich Magirius, dem ehemaligen sächsischen Landeskonservator, einen "Markstein der barocken Architektur des alten Kursachsens". Jetzt ist sie akut gefährdet und droht einzustürzen.

Dabei ist das Gestüt Bleesern noch nicht einmal vollständig erforscht. Der besondere Reiz des Baudenkmals liegt nämlich darin, dass in ihm Reste eines Vorwerks aus dem Mittelalter und der Renaissance verborgen sind. Die Denkmalpfleger in Halle halten das im heutigen Sachsen-Anhalt gelegene Gestüt für "eines der ältesten erhaltenen deutschen Gestüte überhaupt". Durch seine Vorgängerbauten hatte es offensichtlich auch eine Bedeutung in der Reichsgeschichte: Als Burgward aus der Zeit des hochmittelalterlichen Landesausbaus im Elbe-Saale-Raum sei es "eine der ältesten historischen Stätten an der damaligen Grenze des sich nach Osten ausbreitenden Reiches". In ihm verkörpert sich das Wirken der askanischen Herzöge von Sachsen, die unter Rudolf I. in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts Wittenberg zum Zentrum ihres Herrschaftsbereiches ausbauten und in Bleesern ein Vorwerk der Wittenberger Burg einrichteten.

Für den Betrachter des 21. Jahrhunderts kommt der spezielle Reiz hinzu, hier einmal einem Gewerbekomplex zu begegnen, der von einem namhaften Architekten vor Jahrhunderten gestaltet worden ist. Denn nach den Forschungen der Denkmalpflege war es kein Geringerer als der sächsische Oberlandbaumeister Wolf Caspar von Klengel, der diesem schlichten, undekorierten, und doch formschönen, überzeugend proportionierten Ensemble seinen Stempel aufgedrückt hat. Klengels Wirken am sächsischen Hof in Dresden sind so bedeutende, das Stadtbild prägende Bauwerke wie der Dresdner Schlossturm zu danken, der seinem Nachfolger, dem Zwingerbaumeister Pöppelmann, so gefiel, dass er ihn - ein Kuriosum der Architekturgeschichte - gleich zweimal "klonen" und die Zwillingstürme in die Schaufront des von August dem Starken geplanten barocken Schlossneubau an der Elbe einbeziehen wollte.

Der neue Eigentümer des Komplexes, der das Gestüt ohne Nutzungskonzeption aus Treuhandbesitz erworben hat, konnte in letzter Minute vom Abbruch und der völligen Zerstörung des Dachstuhls abgehalten werden. Aber wie soll es weitergehen? Weder er noch die Stadt Wittenberg, zu der die Ortslage Seegrehna mit dem Gestüt Bleesern gehört, scheinen willens oder finanziell wie konzeptionell in der Lage, die Anlage zu erhalten.

Wäre nicht an eine Stiftung deutscher Großgestüte zu denken, die hier einen Reiterhof einrichten könnte, der die historische Tradition fortführt? Die einzigartige landschaftliche Lage des Gestüts am Rande des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs und des Biosphärenreservats Mittlere Elbe sowie in naher Nachbarschaft zu den Luther-Gedenkstätten und zum Dessauer Bauhaus lassen auch touristische Nutzungen oder die Präsentation und Vermarktung regionaler Produkte, ja vielleicht gar die Errichtung eines Landwirtschaftsmuseums als sinnvoll erscheinen. Nur eines sollte nicht geschehen: die Schleifung des unersetzlichen Baudenkmals, in dem sich deutsche Geschichte so eindrucksvoll manifestiert.

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