Deutsch-deutsche Geschichte:Im Schatten des Eisernen Vorhangs

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Im Skulpturenpark Deutsche Einheit in Mellrichstadt kommen jedes Jahr neue Objekte dazu, die mit der deutschen Teilung zu tun haben. (Foto: Aktives Mellrichstadt/dpa)

Astrid M. Eckert beleuchtet die ökonomischen und ökologischen Aspekte an der einstigen innerdeutschen Grenze. Es geht um viel Geld für die Zonenrandförderung, den kleinen Grenzverkehr und die nicht aufgearbeitete Geschichte von Umweltschweinereien aus DDR-Zeiten.

Von Ralf Husemann

1393 Kilometer war die innerdeutsche Grenze lang. Auch noch lange nach der Besatzungszeit wurde sie in der Bundesrepublik Zonengrenze genannt. Im DDR-Deutsch war sie, fast wie von Putin erfunden, der "antifaschistische Schutzwall". Tatsächlich wurde hier nichts geschützt, sondern an ihr starben wohl um die 500 Menschen, vielleicht sogar mehr, exakt weiß man das bis heute nicht. Sie wurden von Grenzsoldaten, Selbstschussanlagen oder Minen getötet, weil sie von dem einen Teil Deutschlands in den anderen gelangen wollten. Das alles ist bekannt und traurige Geschichte.

Die in Niedersachsen aufgewachsene, aber inzwischen als Geschichtsprofessorin in Atlanta (Georgia) lehrende Astrid M. Eckert wählte deswegen einen anderen Ansatz. Sie untersuchte, welche Bedeutung die Grenze und das anschließende Zonenrandgebiet für die Westdeutschen hatte - und zwar vor allem in wirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht. Das klingt vergleichsweise wenig spektakulär, ist aber vor allem wegen der umfassenden Recherchen Eckerts, die dafür allein 19 Archive nutzte, aber auch wegen des souveränen Erzählstils eine durchweg spannende, manchmal sogar unterhaltsame Lektüre. Bemerkenswert, dass sie das Buch schon vor drei Jahren auf Englisch geschrieben hat und es nun, leicht überarbeitet, von drei Übersetzern ins Deutsche übertragen ließ.

Geld aus der Gießkanne für den Zonenrand

Spätestens seit Mitte der 1950er-Jahre war den Politikern der Bundesrepublik klar, dass der "Eiserne Vorhang" sich wohl nicht so schnell wieder heben würde. Nun ging es darum, die schwerwiegenden Folgen für das zerrissene Land zu minimieren. Es wurden Grenzlandfonds und schließlich das Zonenrandförderungsgesetz ersonnen, und die Subventionen flossen großzügig und im Wesentlichen ohne Kontrolle der jeweiligen Notwendigkeiten. Das lag schon daran, dass als Zonenrand ein 40 Kilometer breiter Streifen von der dänischen Grenze bis nach Südbayern galt. Auf diese Weise gehörten zum Rand fast 20 Prozent des Bundesgebietes und nahezu 12 Prozent der Bevölkerung.

In den eigentlichen Grenzbereichen gab es allerdings auch schon lange vor der deutschen Teilung enorme wirtschaftliche Probleme. Die wurden nun teilweise wegen des weggebrochenen Hinterlandes zwar verschärft, waren aber laut Eckert "zu keinem Zeitpunkt die Ursache der schwachen lokalen Wirtschaft". Umso mehr kam es zu einem Hauen und Stechen mit anderen deutschen Regionen, wie dem Ruhrgebiet, die sich nun benachteiligt fühlten. Und auch die Europäische Kommission monierte später die in ihren Augen nicht gerechtfertigte Wettbewerbsverzerrung. Die Förderung wurde allerdings tatsächlich erst 1994 eingestellt, da gab es schon vier Jahre lang kein innerdeutsches Grenzland mehr.

Kleiner Grenzverkehr mit Fußball und Gesang

Die Sonderrolle des Gebiets lag darin, dass die Bundesrepublik vor den Augen der DDR ein prosperierendes Schaufenster bieten wollte, und sich hier die Bewohner überdies gegen die angebliche "kommunistische Aggression" zur Wehr setzen mussten. Die bestand unter anderem darin, dass sich plötzlich die Westdeutschen als arme Verwandte fühlen mussten, wenn sie etwa von den östlichen Nachbarn zu Chorkonzerten oder Fußballspielen mit Bussen abgeholt, "drüben" bewirtet und mit neuen Trainingsanzügen wieder nach Hause gebracht wurden.

Kleinere Städte im Grenzgebiet buchten auch Chöre, Volkstanzensembles und Theatergruppen aus dem Osten. So wurden in Nordhessen 1956 etwa 60 Prozent aller Aufführungen vom Thüringer Landestheater aus Eisenach bestritten. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen war entsprechend entsetzt.

Ganz nah dran an der düsteren Geschichte: Radtour im Jahr 1998, die beiden Männer sehen sich die verlassenen Grenzbefestigungen in Hötensleben bei Schöningen (Sachsen-Anhalt) an. (Foto: Peter Förster/dpa)

Diese vergleichsweise noch eher gemütlichen Zeiten waren allerdings mit der immer stärkeren Abgrenzung der DDR, dem Bau der Berliner Mauer, der Verlegung von Splitterminen und der Zwangsaussiedlung von Ostdeutschen im Grenzgebiet ("Aktion Ungeziefer") vorbei.

Astrid M. Eckert: Zonenrandgebiet. Westdeutschland und der Eiserne Vorhang. Aus dem Englischen von Thomas Wollermann, Bernhard Jendricke und Barbara Steckhan. Ch. Links-Verlag, Berlin 2022. 560 Seiten, 30 Euro. (Foto: N/A)

Zunehmend wurde allerdings der Bundesrepublik bewusst, dass die Grenze zwar immer dichter wurde, dies aber für die gesamtdeutsche Ökologie keine Bedeutung hatte. Eckert schildert eindringlich, dass die DDR in dieser Hinsicht "ein gescheiterter Staat" war. In den 1980er-Jahren war er der europäische Spitzenreiter beim Ausstoß von Schwefeldioxid. Das "ökologische Totalversagen" lag aber laut Eckert nicht am Desinteresse der DDR-Verantwortlichen für dieses Thema, sondern daran, dass die DDR vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch stand. Den westdeutschen Politikern und Fachleuten, die mit den Ostdeutschen über notwendige Sanierungsmaßnahmen verhandelten, wirft sie vor, die "Anzeichen einer möglichen Auflösung" dieses Staates nicht erkannt zu haben.

Umweltfragen waren der DDR lange egal

Die Schäden waren jedenfalls dramatisch. Der Kali-Bergbau an der Werra ließ "Salzmarschen mit Küstenvegetation" entstehen, der Fluss "lag im Koma" (Eckert), fünf Jahre flossen aus dem Raum Dresden sämtliche Abwässer ungereinigt in die Elbe, der Bleilochstausee war "eine Kloake". Von 1974 bis 1980 habe aber die DDR "jede Diskussion über Umweltfragen verweigert" und statt dessen "Schadenersatz" gefordert, weil die flussabwärts liegenden westdeutschen Gebiete von Sanierungen in der DDR profitieren würden.

Was allerdings nicht bedeutet, dass heute alles in Ordnung wäre, denn nach wie vor ist die Werra, wie Eckert mahnend hinzufügt, "der Fluss mit dem höchsten Salzgehalt in Europa", der unterirdische See an verpresster Salzlauge sei fast so groß wie der Bodensee. Eckert: "Die umwelthistorische Dimension der deutschen Wiedervereinigung ist in der Geschichtswissenschaft nach wie vor viel zu wenig erforscht." Dazu gehört auch der gescheiterte Versuch der Bundesrepublik, einen nuklearen Brennstoffkreislauf mithilfe von "Schnellen Brütern" und der Aufbereitungsanlage in Gorleben, nur drei Kilometer von der DDR-Grenze entfernt, und später auch in Wackersdorf zustande zu bringen. Eckerts Resümee: "Nukleare Zukünfte mögen sich in nukleare Vergangenheiten verkehrt haben, doch der Atommüll bleibt für die Ewigkeit."

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